Die Ausgrabungen in Alt Lübeck im Lichte der politischen Biographie des Abodriten Königs Heinrich.

Authors

  • H. Hellmuth Andersen
  • H. Hellmuth Andersen

DOI:

https://doi.org/10.7146/kuml.v35i35.110465

Keywords:

lübeck, politische biografi, heinrich, abodritenkönig

Abstract

Die Ausgrabungen in Alt Lübeck im Lichte der politischen Biographie des Abodritenkönigs Heinrich

Man darf den abodritischen Fürsten Heinrich Gottschalksohn (ca 1060-1127) auch als eine Randfigur der dänischen Geschichte betrachten (1). Der Autor möchte ihn besonders vor dem Hintergrund seiner eigenen Grabungen in Alt Lübeck sehen (2). Dieser Ort stellt eine von vier abodritischen Hauptburgen dar (3). Der Chronist Heinrichs, Helmold von Bosau, bezeugt die besondere Verknüpfung dieses Fürsten mit Alt Lübeck (4).

Als einer der letzten Nakoniden (5,6) verlegte Heinrich das abodritische Machtzentrum nach Alt Lübeck (7). Seine Biographie beginnt mit seinem Exil in Dänemark (8,9), wo er am Hofe aufwuchs. Er war Kindeskind des Königs Svend Estridsen. Er hat also die Entwicklung Dänemarks zur Zeit Svends und seiner ersten Söhne miterlebt, sicherlich eine gute Schule für einen angehenden Staatsmann, dessen Hauptaufgabe darin bestand, die Entwicklung im rückständigen Abodritenreich bei Strafe des Unterganges voranzutreiben.

In der Geschichte erscheint er um 1090 als Seekrieger, der mit dänischer Flottenhilfe die Küsten seines einheimischen Widersachers Kruto verheerte und ihn zum Nachgeben zwang (10): Heinrich konnte in das angestammte Reich zurückkehren, und Kruto räumte ihm »geeignete Ortschaften zum Wohnsitz« ein. Unsere Grabungen und dendrochronologische Datierungen haben nun wichtige Erkenntnisse zur Baugeschichte der Burg von Alt Lübeck ermittelt (11,12 ,13) (vgl. Fig. 1-4). 817-919 als Grenzkastell entstanden, wurde sie von Gottschalk, dem Vater Heinrichs, umfunktioniert und als politisches Machtzentrum 1055-1056 unter dem Namen Liubice neu angelegt (14). U .a. versuchte die Fürstenmacht, dem Christentum den Weg zu ebnen, indem Geistliche in der Burg angesiedelt wurden (15). Ein jüngster Ausbau der Anlage ist indessen für die Jahre zwischen 1089 und 1093 nachgewiesen worden. Diese Datierung legt den Schluß nahe, daß Heinrich der neue Bauherr gewesen ist. Diesen Ort konnte Kruto ihm wohl zum Wohnsitz überlassen, ohne völlig zu kapitulieren (16), und Heinrich brauchte den festen Schutz einer Burg, um zu überleben. lm folgenden Machtkampf besaß Heinrich offenbar einen festeren Platz, denn schließlich zog Kruto den Kürzeren. Heinrich ließ ihn 1093 ermorden und hatte seitdem in Alt Lübeck seine hauptresidenz.

Durch eine Säuberung unter seinen Feinden und durch Bündnisse mit dem Westen baute Heinrich seine neugewonnene Macht aus, und da er Respekt vor dem Christentum und Steuerleistungen an den Fürsten forderte, mußte schon 1093 in der Schlacht bei Schmilau ein Aufstand niedergeschlagen werden. Hier mag er sich als Feldherr im Bündnis mit dem Sachsenherzog bewährt haben (17). Militärisch bewährte sich auch Alt Lübeck, teils als Basis für Feldzüge, teils als Abwehrstellung gegen feindliche Angriffe (18).

Die Reformpolitik Heinrichs ist durch Helmold bekannt: Steuerleistungen an den Fürsten, innere Stabilisierung, Aufrechterhaltung eines Landfriedens, Förderung der Landwirtschaft und polizeiliche Maßnahmen. Er führte auch den Königstitel bei den Abodriten ein.

Die Funde von Alt Lübeck belegen oder ergänzen die Schriftquellen, so z.B. die Münzfunde, die von der Errichtung eines eigenen Münzwesens zeugen. Die größte Aussagekraft hat jedoch Alt Lübeck selbst, das als Pfalz und Fernhandelszentrum ausgebaut wurde. Helmold erwähnt eine Kaufleutesiedlung am Gegenufter der Trave. Die Archäologie fügt das Anlegen von Suburbien hinzu (19). In abodritischen Zusammenhängen ist all dies Ausdruck eines Modernisierungsprogrammes von staatlichem Ausmaß. Daß dieser Staat dennoch nicht überleben konnte, hat besondere historische Gründe (20).

An seinem Reformprogramm läßt sich erkennen, daß Heinrich in einer Hinsicht fatal zu kurz griff. Eine gelungene religiöse Reform wie bei den Ostslawen fand nicht statt. Helmold spricht davon, daß es »im ganzen Slawenland« (d.h. bei den westlichen Slawen) nur eine einzige Kirche gab, und sie stand in Alt Lübeck; Oldenlubeke schreibt der Chronist um 1170, weil der Ort längst -1138- untergegangen und jede Aktivität ab 1143 nach dem neuen deutschen Lübeck verlegt war.

Gerade die Kirche von Alt Lübeck ist in diesem Zusammenhang von Interesse: seit altersher kennt man das Fundament einer Steinkirche in der Burgmitte. 1988 wurde dann ein Vorgängerbau erkannt, eine große kreuzförmige Holzkirche (vgl. Fig. 5-6). Sie war in Stabbautechnik errichtet und dürfte die oben erwähnte »einzige Kirche im ganzen Slawenland« gewesen sein. Die Steinkirche ist hingegen als diejenige zu identifizieren, die Knut Laward 1129 weihen ließ, als er König der Abodriten wurde. Ehemals vorhandene Fürsten­gräber in der Kirche kann man so auffassen, als hätte Heinrich eine Königsgrabkirche schaffen wollen. Eine ähnliche Politik des Kultes der eigenen Sippe soll Svend Estridsen geplant haben (21). Beide Fürsten hatten Märtyrer-Gestalten als mögliche Geblütsheilige in ihren Ahnenreihen.

Der Aufstieg Alt Lübecks zur Königsresidenz hatte viele Gründe: Hier konnte Heinrich seinem schon politisch notwendigen Glaubenseifer nachgehen; der Ort hatte weiterhin politisch, militärisch und wirtschaftlich eine günstige strategische Lage. Die Nachwelt hat die Bedeutung des Ortes als Handelszentrum klar erkannt, wie die Namensübertragung auf das deutsche Lübeck zeigt (22).

Schließlich ist eine historische Perspektive aufzuzeigen. Durch seine Rolle als der Nachfolger Heinrichs steht Knut Laward als der potentielle Schöpfer eines dänisch-abodritischen Doppelreiches da. Seine Ermordung und der darauffolgende Bürgerkrieg brachten es jedoch mit sich, daß Dänemark seine alte Rolle als Schirmmacht des kleinen Slawenreiches nicht länger erfüllen konnte. Die norddeutschen Mächte bekamen freie Hand und konnten es sich einverleiben. Die aggressive Politik Dänemarks zu Anfang des 13. Jahrhunderts hatte vielleicht ihren Hintergrund in dieser Entwicklung, eine Politik, die vor allem zum Ziel hatte, die holsteinische Fürstenmacht auszuschalten. In früheren Jahrhunderten hatten gemeinsame dänischabodritische Interessen ausgereicht, um Bedrohungen aus dem Süden einzudämmen.

H. Hellmuth Andersen

Downloads

Published

1987-10-29

How to Cite

Andersen, H. H., & Andersen, H. H. (1987). Die Ausgrabungen in Alt Lübeck im Lichte der politischen Biographie des Abodriten Königs Heinrich. Kuml, 35(35), 7–22. https://doi.org/10.7146/kuml.v35i35.110465

Issue

Section

Articles