Die Ringburgen und die militärische Ereignisgeschichte

Authors

  • H. Hellmuth Andersen
  • H. Hellmuth Andersen

DOI:

https://doi.org/10.7146/kuml.v34i34.109804

Keywords:

Ringburgen, militär, ereignisgeschichte, Haithabu

Abstract

Die Ringburgen und die militärische Ereignisgeschichte

Mit sieben oder acht großen Befestigungsanlagen - die vier Ringburgen vom Trelleborg­Typ, die beiden Halbkreiswälle von Århus und Haithabu, das Danewerk 968 und vielleicht der Kograben 983 (?) - besaß die Verteidigung des dänischen Reiches am Ende des 10. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Stärke (1, 2). Für die gleiche Zeit vermittelt die Überlieferung den Eindruck einer militärisch hochgespannten Lage (3). Schließlich erreichen gerade für die Jahrzehnte von 980 bis 1000 die Schatzfunde eine Kulmination (4). Vor diesem Hintergrund wollen wir versuchen, folgende These zu begründen: Die Ringburgen waren Bestandteile einer neuen Konzeption für die Verteidigung des Reiches nach außen (5), die jetzt als Weiterentwicklung eines älteren Abwehrsystems - das nur Århus, Haithabu und das Danewerk umfaßt hatte - notwendig geworden war. lm 10. Jahrhundert richteten sich die Angriffsbestrebungen gegen Dänemark aus zwei Richtungen: aus dem Norden und aus dem Süden. Die Gefahr von Norden bestand latent mindestens seit der Mitte des Jahrhunderts (6) und endete vorläufig im jahre 1000 mit der Seeschlacht bei Svold. Für die Jahre 934, 974 und 983 sind deutsch-dänische Kriege belegt. Ferner war der Besitz der Königsherrschaft von Dänemark wiederholt durch von außen kommende Eroberer bedroht, durch Olaf und seine Söhne, Hardegon/Gorm und Harald Blauzahn (7), vermutlich auch durch den schwedischen König Erik den Siegreichen. Sämtliche Mächte der Region waren an diesen Auseinandersetzungen beteiligt, darüber hinaus agierte unabhängig von ihnen im Ostseeraum eine besondere Kriegergesellschaft, die halb historisch als jomswikinger überliefert ist (8).

Dänemark verteidigungspolitische Lage war also äußerst kompliziert, so kompliziert, daß selbst ein so großer Kriegsherr wie Svend Gabelbart darüber des öfteren in Schwierigkeiten geriet.

Die Befestigungen an der Südgrenze dienten vor allem der Abwehr gegen das Ottonische Reich, wobei jedoch Haithabu auch von Norden her bedroht war (9). Mit einer solchen Situation verknüpfen wir die Belagerung von Haithabu, die nur durch Runensteine dort bekannt ist, und nicht wie üblich mit dem deutsch-dänischen Krieg von 983 (10).

Die übrigen Befestigungsanlagen scheinen auf eine andere Strategie hinzuweisen, die in höherem Grade seemilitärischer Art gewesen ist, vermutlich weil Norwegen und Schweden gefährliche Gegner geworden waren (11). Die Überlieferung kennt eine Reihe von Konfrontationen zwischen den nordischen Mächten, einschließlich der Jomswikinger.

Damit war die Beherrschung des Kattegat zum zentralen Problem geworden. An diesem strategisch wichtigen Gewässer liegen Århus und die Ringburgen, wobei die Anlage von Århus als zentraler Festung in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zum ersten Mal den neuen strategischen Raum markiert. An der alten strategischen Grenze wird etwa gleichzeitig Haithabu befestigt. Die beiden Halbkreiswälle umfassen, vermutlich aus logistischen Erfordernissen, jeweils große Flächen. (12, 13, 14). Unter den Ringburgen hat allein Aggersborg eine mit Århus vergleichbare Größe. Wenn unsere Datierungen stichhaltig sind, kann man in Århus einen ersten Ansatz (15) einer neuen seemilitärischen Abwehrstrategie erblicken und in den Ringburgen dann den systematischen Versuch, das Land gegen auswärtige Feinde zu schützen. Die geographische Lage dieser Burgen macht deutlich, daß die Feinde aus dem Norden erwartet wurden.

Die Ringburgen mögen ein gutes Menschenalter lang bestanden haben, von etwa 980 an; in einer Zeit, in der im Norden berühmte Kriegsherren operierten (Hakon Jarl und seine Söhne, Olaf Trygvason, Erik der Siegreiche und Svend Gabelbart), und zwar des öfteren auch gegen Dänemark.

Es liegen gute Gründe vor, den Kograben an der Südgrenze für gleichzeitig mit den Ringburgen zu halten. Ein solcher Zusammenhang würde dem Ringburgen-Komplex eine Dimension hinzufügen, die eindeutig in Richtung auf die Reichsverteidigung weist, als dem Hauptanliegen des Bauherrn dieser Anlagen. Der Bauherr muß unter dieser Prämisse mit einem Zweifrontenkrieg gerechnet und die Verteidigung des Reiches planmäßig gegen diese Bedrohung ausgerichtet haben. Über den Bauherrn selbst ist damit noch nichts ausgesagt. Bekanntlich haben die neuen Datierungen dazu geführt, die Burgen als Werke Harald Blauzahns anzusehen. Svend Gabelbart dürfte jedoch durchaus auch dafür in Frage kommen (16). Er hatte zu dieser Zeit der Überlieferung nach das Heer hinter sich und besaß somit eine sehr solide Machtposition. Darüber hinaus ist er auch als ein bedeutender Militärorganisator bekannt (17). Für unsere Überlegungen ist die Personenfrage indes von geringerem Gewicht, entscheidend ist das grundsätzliche Problem, ob es sich um die Konzeption einer geplanten, reichsumfassenden Verteidigung in einer kritischen Periode gehandelt hat.

Nach den heute gültigen Datierungen muß die alte Auffassung aufgegeben werden, die in den Burgen den Ausdruck einer Strategie mit offensiven Fernzielen sah, wie der systematischen Ausplünderung von England, da diese deutlich später erfolgte. Damit wird unsere Deutung bestärkt, sie seien Glieder der Reichsverteidigung und als militärische Stützpunkte sind sie Wehranlagen von beachtlicher Stärke.

Wenn es wahr ist, daß die Hälfte aller Macht bei der Seemacht liegen soll, dann stellte sich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts dieses Problem in aller Schärfe: Die großen Flotten stellten eine schwer einzudämmende Bedrohung dar und feindliche Landgänge, die sich bis zu regulären Invasionen steigern konnten, waren nur unter Anstrengungen zu verhindern. In den Burgen lagen dagegen solide Stützpunkte für die Verteidigung der einzelnen Landesteile, bis sie militärische Hilfe erhielten. Von ihnen aus konnten auch Gegenangriffe zu Land und zu See organisiert werden.

Die strategische Lage dieser Burgen ist einer systematischen Verteidigung angepaßt, das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Sie liegen sämtlich an Gewässern mit Bezug auf das Kattegat, und sie sperren wichtige Wegeverbindungen in das Landesinnere, das heißt, sie liegen an verkehrsgeographisch wesentlichen Plätzen des Reiches; das gilt auch für Århus und Haithabu. Aus der Lage der Ringburgen eine Strecke weit hinter der offenen Küste läßt sich zum einen auf die Bedrohung schließen, durch feindliche Flottenangriffe überrascht zu werden, und zum andern auf ihre Funktion, dieser Gefahr begegnen zu sollen. Nur die nordischen Länder und die Jomswikinger besaßen um die Jahrtausendwende Flottenverbände von einer dermaßen bedrohlichen Stärke.

Die Burgen haben einen Angreifer dazu zwingen können, sich ihnen zu stellen. Aus der Perspektive einer Reichsverteidigung muß eben darin ihre Aufgabe gelegen haben. Sie bildeten die einzige Möglichkeit, eine feindliche Invasion aufzuhalten, wollte man nicht das gesamte Problem der Flotte überlassen. Die Einmaligkeit der Burgen dürfte somit vor dem Hintergrund gesteigerter Gefahren zu eben dieser Zeit betrachtet werden. Befand sich die Flotte während des Sommers auf See, dann konnten die Burgen auch als Basen und Stützpunkte eine Funktion haben. Mit ihrer außergewöhnlich großen überdachten Fläche können sie ebenfalls als potentielle Wikingerlager gedient haben und lassen auf große Kriegerscharen schließen. Ihre besonderen Einrichtungen lassen einen hohen militärischen Organisationsgrad erkennen, und die übergroße Aggersborg könnte auf eine optimale Mannschaftsstärke hinweisen. Am Limfjord konnte man eine gewaltige militärische Konzentration aufbauen, eine Truppe, die nichts zu fürchten hatte. Die Aggersborg bildete in dieser Sicht eine Parallele im Norden des Reiches gegen Norweger und Schweden zum Kograben im Süden gegen die Deutschen. Die übrigen Stützpunkte erstrecken sich in einem regelmäßigen weiten Bogen bis nach Seeland.

Ebenfalls der Landesverteidigung dienten die Burgensysteme anderer Länder, die den Dänen bekannt waren, zum Beispiel die holsteinischen Grenzburgen (18) oder die Souburg-Kette in den Niederlanden (19); wobei die Parallelen noch enger werden, wenn man bedenkt, daß Dänemark vor vergleichbaren Verteidigungsproblemen stand, mit ebenbürtigen Gegnern von der skandinavischen Halbinsel (20). Dieses Problem löste erst um 1000 Svend Gabelbart. Und es ist vermutlich kein Zufall, daß in den darauffolgenden Jahrzehnten offenbar die Lebensdauer der Burgen zu Ende gegangen war. Jedenfalls sind es die alten Anlagen, das Danewerk und die beiden Halbkreiswälle, die im 11. Jahrhundert umkämpft waren.

Mit dieser Deutung soll die heute allgemein anerkannte These von den Ringburgen als Zwingburgen (21) verabschiedet werden. Die Grundlage dieser These, eine erste Reichssammlung unter König Harald, erscheint dem Verfasser von vornherein besonders suspekt (22), und um ihre Variante, nach der die Burgen die Stützpunkte Haralds im Bürgerkrieg gegen den Sohn Svend waren, steht es nicht viel besser. Jedenfalls sind solche inneren Zustände schwerlich mit der Tatsache zu verknüpfen, daß die Anlagen mit ihren umständlichen »Pedanterien« offenbar in relativer Ruhe und wohl vorbereitet erbaut worden sein müssen (23). Die These von den Zwingburgen dürfte ein reiner Anachronismus sein. Ferner muß es ungereimt erscheinen, daß eine der Burgen, die Aggersborg, die vierfache Größe erhalten hat. Kritische Betrachtungen über die Lage der vier Burgen im Sinne von Zwingburgen ließen sich anschließen. Uns scheint die Kritik Olaf Olsens an dieser These berechtigt: »Weniger hätte gereicht« (24).

Die Anhänger dieser These müssen konsequenterweise behaupten: Die wirklichen Feinde der Ringburgen waren das dänische Volk selbst. Dieses seltsame Verhalten träfe gerade auf die beiden Jahrzehnte zu, in denen dasselbe Wolk in bisher einmaliger Weise von außen bedroht war und seinen einzigen Halt im Landkrieg in den königlichen Befestigungen fand. Die Zeiten sind dadurch charakterisiert, daß sie selbst den mächtigsten nordischen Kriegsherrn in »unstetes Irren« treiben konnten (25). Es entbehrt jeder Logik, gerade für diese Zeit die Zwingburg als historische Notwendigkeit anzusetzen. Deshalb sollte diese These als die überflüssige Komplikation eines höchst realen Verteidigungsproblems aufgegeben werden.

H. Hellmuth Andersen

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Published

1986-10-16

How to Cite

Andersen, H. H., & Andersen, H. H. (1986). Die Ringburgen und die militärische Ereignisgeschichte. Kuml, 34(34), 7–20. https://doi.org/10.7146/kuml.v34i34.109804

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