Nationaløkonomisk Tidsskrift, Bind 3. række, 47 (1939)

WIRTSCHAFTSLENKUNG UND WIRTSCHAFTSFREIHEIT IN FRANKREICH 1)

HENRY LAUFENBURGER

DIE Eingriffe des Staates in Europa sowohl als auch in Amerika
die Struktur und die Konjunktur zum Gegenstand.
Sozialismus im weiteren Sinne oder sozialer Reform
im engeren Sinne versteht man gewöhnlich den Eingriff in den
Besitz des privaten Reichtums.

Im eigentlichen Sinne spricht man von Sozialiseirung, wenn es sich um die Verstaatlichung des Grundbesitzes, der Unternehmungen des mobiliaren Vermögens handelt. Dieselbe ist in Russland auf Grund eines theoretischen Plans durchgeführt worden. Zunächst in der Industrie, sodann in der Landwirtschaft. In Italien ist der Anfang der Sozialisierung gemacht, aber nicht aus doktrinären Ueberlegungen heraus, denn der Faschimus schliesst ja den Bolchevismus aus, sondern auf Grund zwangsläufiger der Politik. Italien hat es unternommen gleichzeitig Wiederaufrüstung, die Autarkie (für welche ja die nötigen Grundlagen, das Holz und die Kohlen fehlen) und das neueroberte Imperium (Ethiopien) zu finanzieren. Da die Kosten dieser dreifachen Aufgabe weit über das verfügbare Einkommen hinausgeben, so muss auf das Kapital zurückgegriffen werden. Schon haben Zwangsanleihen den Immobiliarbesitzt, Kapitalabgaben Kapital der Aktiengesellschaften und das Aktivum der Einzelunternehmungeri empfindlich geschmälert.

Deutschland begnügt sich z. Zt. noch mit der Verstaatlichung des Einkommens. Vom Standpunkt der Ideologie aus lehnt Deutschland sowohl den Kommunismus als auch das Kollektiveigentumab, auch aus der Ueberlegung heraus, dass heutzutage der Besitz teuer zu stehen kommt. Da jedoch die Staatsausgaben (öffentliche Arbeiten, Kriegsrüstungen, Autarkie) ins riesenhafte angewaschen sind, so genügt das Einkommen kaum



1) Vortrag gehalten am 28. Februar 1939 in der Nationaløkonomisk Forening.

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mehr um dieselben zu decken. Schon sind im Jahre 1938 35.8 Milliarden des sich auf 76 Milliarden belaufenden Volkseinkommensvom beansprucht worden. Wenn die öffentlichen Ausgabennoch in die Höhe gehen, so muss auch Deutschland das Nationalkapital angreifen.

Frankreich steht auf dem Mittelwege. Die Volksfrontregierung beabsichtigte die Sozialisierung der Eisenbahnen, der Rüstungsindustrie, Notenbank. Tatsächlich wurde auf dem halben Weg Halt gemacht. Die Eisenbahnen die zwischen 1950 und 1955 dem Staat kostenlos zugefallen wären, sind auf der kapitalistischen Grundlage des gemischtwirtschaftlichen Betriebs bis 1988 verlängert Während die Banque de France es wagte, dem sozialistischen der Regierung Blum Widerstand zu leisten, sieht sich die um halbwegs verstaatliche Industrie des Flugzeugbaus mehr und mehr genötigt zu den Prinzipien und der Technik der kapitalistischen Wirtschaft zurückzutreten. Geht also die Sozialisierung so liegt trotzdem auf dem Nationalvermögen von 1600 Milliarden francs eine Hypothek von 550 Milliarden öffentliche die zum Teil die Devaluationen erklären.

Dagegen beansprucht auch in Frankreich der Staat auf dem Weg der Steuern und Abgaben über 35% des Nationaleinkommens. Tatsache erklärt sich aus den waschenden Kosten der Wirtschaftslenkung durch den Staat welche die Jahre 19361938 kennzeichnet. Ihr Miserfolg hat von Oktober 1938 ab zur Rückkehr mehr liberalen Auffassung der Wirtschaftspolitik geführt.

I. DIE GRENZEN DER WIRTSCHAFTSLENKUNG

Nach einer sogar von den Klassikern zugelassenen Auffassung, soll der Staat seine eigene Wirtschaftstätigkeit in dem Masse verstärken welchem diejenige der Privatwirtschaft zurückgeht. Oeffentliche Arbeiten hätten also im Aufschwung aufzuhören, um in der Depression voll einzusetzen. Gegen diese Auffassung sprechen theoretischen Erwägungen der Liberalen sowie die in den Vereinigten Staaten gemachten Erfahrungen.

In den Monatsheften der Chase Bank (New York) schätzt Andersonan der Fehlbeträge der Haushalte (Budgetdefizite) die jährliche Erhöhung der ordentlichen Staatsausgaben auf 4—545 Milliarden Dollars. Wenn man nun überlegt, dass der jährlicheWert Produktion bis um 2025 Milliarden Dollars zurückgegangenist, man da nicht zum absurden Schluss kommen,dass

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men,dassdas Budgetdefizit, um den Ausgleich durchzuführen, 4—545 mal höher hätte sein müssen? Uebrigens ging der Index der Produktion welcher zwischen März 1933 und Juli 1933 von 60 auf 100 gestiegen war, in dem Moment zurück in dem die öffentlichen Arbeiten einsetzten. Im November 1933 stellt sich der Index auf 72, im September 1934 auf 71.

In Frankreich hat der liberale Kurs Anfangs 1936 zahlreiche Anhänger gehabt. Nach einer 5 Jahre lang dauernden Krisis, erwartete als natürliche Reaktion den Aufschwung, welcher rein zahlenmässig durch die Verbilligung der Gestehungskosten (Deflation Laval) begünstigt wurde. Tatsächlich ist auch im ersten Semester 1936 der Produktionsindex entschieden in die Höhe gegangen.

Aber gerade die Deflation, welche in ihrem Gefolge Preis- und Lohnreduktionen kennt, hatte einen psychologischen Widerstand hervorgerufen, welcher in den Wahlen der Mai 1936 und in dem Zustandekommen der Volksfrontregierung zum Ausdruck kommt.

Es ist merkwürdig festzustellen, dass in Deutschland die Deflation in ähnlicher allerdings mehr brutaler Weise zum Regimewechsel führte. Der Nazionalsozialismus hat die Deflation eine Redeflation abgelöst, welche in einer Produktionserhöhung der ganzen Linie bestand. Merkwürdigerweise hat nun diese der Deflation entgegengesetzte Politik dieselbe nur verstärkt. Denn einmal hat ja nur die Produktion von Produktionsgütern öffentlichen Diensten (Strassen, Aufrüstung) u. s. w. zugenommen, die ja dem Konsum nicht zugänglich sind: zweitens haben bei gleichbleibendem Stunden-Lohn die Preise gewollt (Landwitrtschaft) oder ungewollt (Industrie) bis zu 20% seit 1933 zugenommen. Sodass also der Lebensstandard in Deutschland ist.

In Frankreich hat die Methode der Revalorisation welche der Deflation entgegengehalten wurde, zu ähnlichen Restriktionen geführt. Zunächst stand den nominal erhöhten Löhnen ein ständiger Rückschlag der Produktion gegenüber. Der Index derselben hatte im Mai 1936 vor dem Beginn der Volksfrontregierung 87 einen Höhepunkt erreicht. Im Mai 1938 stellt sich derselbe auf 82, im November 1938 auf 80. Diese Verringerung Produktion begünstigte trotz Preiskontrolle ein Heraufschwellen Preise, sodass also die Realkaufkraft der Löhne in dem Masse sank in welchem der nominelle Wert derselben sich erhöhte.

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Gewogener Index der Grosshandelspreise. (126 Artikel).

Die Detailpreise (34 Artikel) stiegen in der Provinz von 429 auf 690, also um 62%. Wenn man also berücksichtigt, dass die Löhne nominell in Paris um 90 %, in der Provinz (43 Berufe) um 55 % gestiegen sind, so zeigt sich, dass während der Pariser Arbeiter Valorisierung als einen Erfolg buchen kann, die überragende Majorität der Provinzarbeiter einen empfindlichen Verlust erlitten hat


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Der Miserfolg des Blumexperiments erklärt sich daraus, dass die staatliche Lenkung nur wirksam sein kann, wenn sie alle Zweige der Wirtschaft erfasst. Nun hat man zunächst in Frankreich es genüge die Preise zu kontrollieren. Als man dann nach und nach kraft eines unerbittlichen Räderwerks zur Lenkung des Handels, der Produktion und der Konsumtion überging, stiess man auf so harte, an dem Individualismus ohne weiteres sich ergebende Umstände, welche das ganze System der »Economie dirigée« über dem Haufen warfen.

Die Preiskontrolle konnte natürlich bei vertikal emporsteigenden Gestehungskosten nicht eine Stabilisierung sondern höchstens nur ein Bremsen der Aufwärtsbewegung der Preise erreichen. Aber schon dafür war es nötig, zunächst die Märkte und den Handel zu überwachen. Auf diesem Gebiet war nun schon in Frankreich eine beträchtliche Vorarbeit geleistet worden.

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In den Jahren der ausserordentlichen Uebererzeugung von Wein wurde das System der »Blockierung« eingeführt. Die Weinernte musste in den Kellern zurückgehalten werden und durfte nur ratenweise, auf Grund der von der Regierung festgesetzten auf den Markt kommen. Auf dem Gebiet des Weizens hat das Office du Blé, welches nach aussen das Monopol des Handels innehat (Ein- und Ausfuhr), die Aufspeicherung der Ueberschüsse auf sich genommen. Nur so war es möglich den Preis des Weizens trotz Ueberproduktion (20 Millionen Zentner 1938) heraufzusetzen.

Aber schon hier stiess die Marktlenkung auf Grenzen. Die Erhöhung des Weizenpreises von 180 auf 204 francs der Doppelzentner mehr nominal als reell. Einerseits werden von den 204 fr. so starke Abzüge gemacht, um die Kosten der Stockierung und der Verwaltung des Office zu bestreiten, dass der Nettopreis tatsächlich nur 160166 fr. beträgt (abgestuft nach der Menge des von den Bauern abgelieferten Weizens). Anderseits sind 204 francs nur 20 fr. Vorkriegsvaluta gleichzustellen. Wenn man nun bedenkt, dass 1913 der Weizen 25 dieser Francs galt, so stellt sich hier auch die Valorisierung als eine versteckte Deflation heraus.

Was den Wein anbelangt, so konnte in Jahren starken Ueberflusses Problem nur auf dem Weg der »Distillation« (Brennung) Ueberschusses gelöst werden. Der Alkohol wird dem Benzin beigemischt. Bei dieser Operation begegnet er dem Alkohol aus Zuckerrüben, Melasse usw. stammt. Der Ueberschuss Wein^ Zuckerrüben (auch Getreide sollte 1938 teilweise in Sprit verwandelt werden) usw. führte also zur dritten Etappe, zur Konsumtionsregulierung. Kraft des Alkoholmonopols bestimmt Staat, welcher Teil dieser Agrarprodukte in Natur verzehrt wird, und welcher Teil durch künstliche Manipulationen dem scheinbar unbegrenzten Magen der Staatswirtschaft endet. Der Regulator ist schliesslich der Preis; man weiss wie sehr das Gleichgewicht auf dem Markt dann zerstört wird, wenn der Staat z. B. den Alkohol teuer ankauft und billig an die Importeure Benzin oder Petroleum verkauft.

Nun ist aber klar, dass das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nur dann hergestellt werden und nur dann zu einer Stabilität der Preise führen kann, wenn neben dem Konsum(an Gesamtregelung in einem individualistischen Lande w7ie Frankreich nicht zu denken ist) auch die Produktion

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geregelt wird. Das ist nun in der Landwirtschaft, die in Frankreichsehr ist, unmöglich. Als man dem Weinbauer das Herausreissen der überzähligen Weinstöcke zumutete, schritt er zur Abwehr mit der Gabel oder dem Gewehr. Zu der Industrie hat es der Staat nicht einmal fertig gebracht, den widerspenstigen Unternehmungen die Zwangskartellierung aufzuerlegen. Bis jetzt besteht nur ein Vergrösscrungsverbot der Schuhindustrie und der Einheitspreisgeschäfte. Im übrigen sind selbst die freiwilligenPrivatkartelle in den Kohlen, der Eisenindustrie und der chemischen Industrie tätig, während sie sich in der zersplittertenTextilindustrie erwiesen haben.

Die Gründe für den Miserfolg der Wirtschaftslenkung liegen jetzt klar zu Tage. Psychologisch stammte sich dagegen der Individualismus französischen Volkes. Technisch ist die Lenkung nur möglich und nur wirksam, wenn sie alle Zweige der Wirtschaft Wie soll in einem demokratischen Staate von Produktions- oder Konsumtionslenkung die Rede sein, wo jeder Zeit auf legalem Wege das Volk durch Abstimmung im Parlament dagegen auflehnen kann? Endlich bedeutet gelenkte Wirtschaft geschlossene Wirtschaft. Nun hat sich aber Frankreich zu Devisenkontrolle entschliessen können welche die Vorbedingung einer Abriegelung der Wirtschaft nach aussen wäre.

Wenn nun mit der Regierung Daladier-Reynaud die Wirtschaftslenkung eine Politik grosserer Wirtschaftsfreiheit abgelöst worden ist, so liegt diesem Wechsel des Wirtschaftskurses die Ueberlegung zu Grunde, dass auch im abgeschlossenen gelenkten Deutschland trotz der Diktatur der Wirtschaft der Volkswohlstand nicht gehoben werden konnte, insofern man darunter die Erhöhung der Konsumtion von materiellen versteht.

II. DIE AUSSICHTEN DES FREIEREN WIRTSCHAFTSKURSES.

Es kann sich in Frankreich ebensowenig wie sonst irgendwo darumhandeln zum kapitalistischen Liberalismus zurückzukehren. Die Ausdehnung des Sektors der öffentlichen Dienste drückt sich viel zu stark auf die Wirtschaft und die Finanzen als dass man eine grössere Verfügbarkeit des Einkommens für private Zwecke in Betracht ziehen könnte. Schon allein die Nationalverteidigung verschlingt mit 25 Milliarden jährlich das Drittel der ordentlichenund Haushalte, der Staat hat von nun ab dauernd für das Defizit der Eisenbahnen aufzukommen, er

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trägt die Last der Monopole (Office du blé, Service de l'alcool). So hat Reynaud in seinem Inventar die öffentlichen Ausgaben auf 137 Milliarden pro Jahr berechnet, gegenüber einem Nationaleinkommenvon Milliarden. Nun haben im Jahr 1938 die Steuern, Gebühren und Abgaben für den Staat, die Departements und die Gemeinden nur 88 Milliarden eingebracht, sodass die Anleihen 51 Milliarden beizusteuern hatten.

Hier liegt nun der Ausgangspunkt des mehr liberalen eingestellten Daladier-Reynaud. Die französische Wirtschaft nicht mehr die Last der zu starken Ansprüche des Staates. Der Anleihebedarf desselben hatte den Zinsfuss am Kapitalmarkt zu 9 und 10% hinaufgeschraubtl). Dazu kommt ein anderer Faktor der Gestehungskosten der unerträglich wurde: die im Vergleich zu der geleisteten Arbeitszeit (40 Stunden oder 5 Tage zu 8 Stunden in der Woche) zu hohen Löhne.

Die Unrentabilität der Wirtschaft hatte aus psychologischen Gründen die Kapitalien ins Ausland gejagt, sodass der circulus vitiosus folgender war. Der Staat stellt immer höhere Ansprüche; je mehr er an den Anleihemarkt herantritt, desto mehr leert sich derselbe wegen der Kapitalflucht; die unrentable Wirtschaft liefert immer weniger Steuern, sodass der Abstand zwischen Bedürfnis des Staates und der dazu erforderlichen Mitteln sich weitert.

Der sogenannte liberale Plan will nun schrittweise die Staatsfinanzen, die Privatfinanzen, dann die Privatwirtschaft sanieren u. zwar auf Grund der Reduzierung der Staatsausgaben und vor allem der öffentlichen Anleihen; diese Massnahmen sollen den Zins reduzieren, wobei gleichzeitig durch die Verlängerung der Arbeitszeit der Faktor Lohn billiger zu stehen kommt. Die Aussicht auf Rentabilität der Wirtschaft soll die Kapitalrückwanderung die schon infolge der Wiederherstellung des Budgetgleichgewichts eingesetzt hat. Endlich soll eine lieberalere die Wirtschaftstätigkeit stimulieren, sodass es nur noch auf ein besseres politisches und moralisches Klima ankommt, damit der Wirtschaftsaufschwung einsetzt.

1) Die Verringerung der Anleihebedürfnisse der Staates ward
durch Einsparen und Steuererhöhung angestrebt. Die in Frankreichimmer



1) 1913 1926-1928 1935—1837 Anleihen der Privatwirtschaft 10475 39297 15 571 » Staatswirtschaft 275 37 183 44 484 (in Millionen Ir.)

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reichimmermit Argumenten der klassischen Finanztheorie heftig bestrittenen öffentlichen Arbeiten werden beschränkt. »Wenn der Staat 10 Milliarden mobilisiert«, sagt Reynaud, »vm öffentliche Arbeiten zu finanzieren, so verhindert er die Privatwirtschaft daran, für 2030 Milliarden Investigierungen zu machen, da der Staat durch seine Ausgaben den Zins und die Preise heraufschraubtund den Geschaeftsgang lähmt«. Schwieriger ist es Ersparnisse in der Verwaltung zu erzielen, da ja 82 % der Haushaltausgabenunreduzierbar 1). Immerhin besteht das sog. Comité de la Hache (Beil Comité), das Verwaltungsausgaben herabsetzen soll. Auf der anderen Seite werden für ungefähr 10 Milliarden Steuererhöhungen vorgenommen. Davon kommen 4,2 auf direkte Steuern. 2,5 Milliarden werden erwartet von einer ausserordentlichen zusätzlichen Steuer auf sämtliche gewerblicheEinkommen 4 Ertragssteuern auf Lohn, Gewerbegewinnelandwirtschaftlichen Einkommen der freien Berufe)2), 750 Millionen von der Heraufsetzung um 33V3 %3)%3) der allgemeinen Einkommensteuer (impöt global). Des weiteren werdendie der Zedularsteuern einheitlich von 14 auf 16 % heraufgesetzt (wobei die Lohnsteuer das Privileg des halben Steuersatzes beibehält). Die Kuponsteuer, auf bezw. 18, 27 und 36% (Ertrag 1 Milliarde). Dazu kommen noch 100 Millionen aus der Stempelsteuer.

Auf dem Gebiete der indirekten Steuern hofft der Finanzminister ein Mehrergebnis von ebenfalls 4,5 Milliarden (Erhöhung der Produktionssteuer, die die Umsatzsteuer ersetzt hat, Majoration Konsumsteuern auf Zucker, Alkohol, Getränke usw., heraufschrauben Postgebühren). Der ganze Plan beruht nun auf der Annahme einer wirtschaftlichen Belebung, sodass also ein Mehrertrag der schon bestehenden Steuern, Gebühren, Domanialeinnahmen von 5 Milliarden erwartet werden kann.

Bis diese Massnahmen ihren vollen Ertrag abwerfen, muss nun der Staat Mittel haben, um die laufenden Ausgaben zu begleichen. Wie ist dies möglich ohne dass man den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt? Durch ausschliessliche Beanspruchung während 6 Monate der Mittel der Bank von Frankreich.

Seit dem versteckten Rediskont von 12 Milliarden Schatzscheinen



1) Siehe oben.

2) Die zusätzliche Lohnsteuer wird auf dem Wege des Abzuges an der Quelle erhoben.

3) Ursprünglich waren 30% vorgesehen.

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bei der Bank unter der Regierung Sarraut sind die Vorschüsse des Emissionsinstituts auf 52 084 Millionen angewachsen. Diese Schuld wird nun durch den erneuten Entwertungsgewinn des Francs zu etwa 2h abgebaut. Die Goldreserve der Banque de France war bisher mit 55 Milliarden francs auf der Grundlage von 41 Milligrammeder in der Bilanz berechnet. Die Neubewertung erfolgte auf Grund von 27,6 Milligramme per franc, was einem Pfundkurs von 170 francs entspricht. So steigt die Goldreserve auf 87 Milliarden francs an1). So werden also von der Staatsschuldbei Bank etwa 37,5 Milliarden abgezogen2). Auf Grund dieser Entlastung war es möglich den Posten dauernde Vorschüsseder an den Staat der Entwertung anzupassen und von 3. auf 10 Milliarden zu erhöhen. Da Mitte November der Staat bei der Banque noch über eine Reserve von 5 Milliarden verfügte, so stellt sich seine Manövermasse mit Einschluss der 6,8 Milliarden neuen Vorschüsse auf nahezu 12 Milliarden, welche die Staatsbedürfnisse auf 6 Monate decken können, die normalen Einnahmen mitberechnet.

All diese Reformen spiegeln sich im Haushalt 1939 der am 1.
Januar genehmigt wurde, und in der Bilanz der Banque de France
vom 27. Dezember 1938 wieder.

Das ordentliche Budget 1939 beziffert sich mit 66 564 Millionen, also um 2 Milliarden mehr als der Generalbericht des 12. November hatte. Die Erhöhung der ordentlichen Einnahmen 56 auf 66 Milliarden entspricht im grossen Ganzen dem Steuerverschärf imgsplan Reynauds; allerdings musste er bei der 2% ausserordentlichen Steuer auf die Löhne, die ohne Abzug erhoben werden sollte, sich eine gewisse Berücksichtigung der Familienlasten (z. B. 800 f. vom Lohn abgezogen bis zu zwei Kindern und dann 2000 für jedes weitere Kind) gefallen lassen; dafür wurde allerdings der Tarif der allgemeinen Einkommensteuer um 33V3 anstatt um 30 % erhöht. Die Genehmigung des Budgets bedeutet Ratifizierung des Gesetzesdekrete vom 12. November.

Der letzten Wochenbilanz 1938 der Banque de France entnehmen
folgenden Posten (in Millionen francs):



1) Da das Pfund in der Nähe von 176 fr. praktisch stabilisiert ist, so enthält die Reserve noch einen vorläufigen verborgenen Gewinn.

2) Die verbleibende Schuld von 20.6 Milliarden (Bilanz des 27. Dezember 1938) ist virtuell gedeckt durch die Guthaben der Wrechselausgleichfonds und der Rentenstützungskasse.

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So war, durch den Rückzug des Staats vom Kapitalmarkt Platz
geschaffen für die erhöhte Beanspruchung desselben für die Privatwirtschaft.

2) Die Schaffung der Anleihelust für die Privatwirtschaft. Um in den Industriellen- und Handelsbetrieben den Unternehmergeist wieder herzustellen, mussten deren Gestehungskosten herabgesetzt, Preiserhöhung ermöglicht werden.

In den Gestehungskosten spielt natürlich zunächst der Zins eine Rolle, welcher ja durch die Ausschaltung der Alileihekonkurrenz des Staates eine rückläufige Tendenz erhielt. Erwähnen wir sofort, dass die angesetzte Steuererleichterungskommission auf dem Weg eines Dekrets vom 5. Januar 1939 u. a. erreicht hat, dass die Kuponsteuer (impot sur le revenu des valeurs mobiliéres) für die Obligationen, welche zwischen den 5. Januar und dem 1. August 1939 ausgegeben werden, auf 20 Jahre reduziert wird und zwar von 27 auf 13%.

Der zweite und wichtigste Posten der Gestehungskosten ist der Lohn. Es handelt sich nun nicht darum, diesen herabzusetzen, was nur neue soziale Wirren auslösen würde, sondern die Obergrenzeder zu durchbrechen und den Zuschlag zum Grundlohn für die Ueberstunden erträglich zu machen. Zunächstwird unter Druck des Sozialismus aufgezwungene Formeldes (5 Arbeitstage zu 8 Stunden) gebrochen und die Arbeit auf 6 Tage verteilt; seit längerer Zeit haben die Banken wieder am Samstag ihre Schalter geöffnet was als Symbol für den neuen Kurs gelten kann. Sodann wird verfügt, dass der Zuschlagfür Ueberstunden, welcher in der Praxis oft 50 und 75 % erreicht und so prohibitiv gewirkt hatte, auf 10 % herabgesetzt, und zwar bis einschliesslich 250 Ueberstunden. Diese Regelung gilt für die Betriebe von 50 Arbeitern. Für kleinen Betriebe kann der Zuschlag bis auf 5% ermässigt werden. Falls mehr als 250 Stunden per Jahr verlangt werden, gilt der Zuschlag von 15 %, der über 400 Ueberstunden hinaus auf 25 % anwächst. Die 48

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Stundenwoche und der 9 Stundentag können auf keinen Fall überschrittenwerde
1).

Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 12. November 1938
hat eine Reihe Dekrete die neue Arbeitsverteilung auf folgende
Grundlagen gestellt (31. Dezember 1938).

Die Formel des sxB kann nur ausnahmsweise genehmigt werden. Arbeitszeit wird im Prinzip auf Grund der Leistung und nicht mehr der Präsenz berechnet. Die Höchstgrenzen der letzteren bis zu 42 Stunden in den Warenhäusern, zu 4550 Stunden in den Hotels festgesetzt. Das Regime der Ueberstunden bleibt nach wie vor durch die jetzt gesetzkräftigen Dekrete vom 12. November geregelt. Gleichzeitig mit der Verbilligung des Lohns werden neue Möglichkeiten geschaffen, die Technik der Produktion verbessern und die Amortisierung zu erleichtern. Für die besonders geschädigte Industrie des Grenzgebietes des Elsasses sind vom Staat 50 Millionen fr. zur teilweisen Erneuerung des Produktionsapparates zur Verfügung gestellt worden. Allgemein wird die Steuer auf die nicht verteilten Reserven der Aktiengesellschaften erhoben, wenn dieselben produktiv angelegt werden. die taxe å la production wird in dem Masse gestundet, in welchem die Produktion zur Erhöhung des Exports verwendet wird.

3) Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit der Preiserhöhung. Einzelhandelspreise unterstehen nach wie vor der Ueberwachung der nationalen oder der departementalen Kontrollkommission, jedoch die Beweglichkeit der Preise für Früchte, Gemüse, Fleisch und andere verderbliche Ernährungsstoffe wird.

Dagegen ist die Befugnis der Preisüberwachungsstellen von nun an auf dem Gebiet der Grosshandelspreise beschränkt. Hier wird im Prinzip die vorhergehende Erlaubnisse einer Erhöhung durch eine nachfolgende Kontrolle der freien Preisentwickelung ersetzt.

Die Genehmigung von Preisveränderung ist nach wie vor notwendig Grossisten (Industrielle und Händler), welche den Gesetzen der freien Konkurrenz entgehen, insofern sie also Kartellen oder wenn ihre Produkte bei der Einfuhr kontingentiert



1) Ein neues Vollmachtengesetz vom 19. März erlaubt in Ausnahmefällen die 60 Stundenwoche.

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4) Zur Zeit ist Frankreich mit seinen Preisen auf den Auslandsmårkten besonders begiinstigt. Wie die »Activité économique 1) meldet, bestand Ende 1938 zwischen den englischen und franzosischen Grosshandelspreisen zugunsten der letzten eine Differenz von 15 %, zwischen den Einzelhandelspreisen eine solche von 24 %. Der Aussenhandel Frankreichs hat sich zunåchst innerhalb Imperiums ausgedehnt, dass bis zu einem Drittel sowohl am Import als auch ara Export Frankreichs beteiligt ist. Im Jahre 1938 stellt sich der franzosische Gesamtexport (Kolonien einbegriffen) 30,5 Milliarden gegen 23,9 im Jahre 1937, wåhrend der Import (Kolonien einbegriffen) nur von 42,3 auf 45,9 Milliarden ist.

Für Januar und Februar 1939 ergeben sich folgende Zahlen
(Millionen fr.):


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Selbst wenn man die Preiserhöhung infolge der Devaluationen berechnet, ist ein leichter Fortschritt zu verzeichnen. Seine Aussichten umso grösser als der grösste Teil des Aussenhandels Frankreichs mit den Ländern stattfindet, welche die Handelsfreiheit haben.

Unterstehend ein Vergleich mit Belgien.


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Zum eigentlichen Auslandsexport Frankreichs von 22,2 Milliarden
fielen 11 Milliarden auf England, Belgien, U. S. A., Holland,
Schweiz und Canada.

Dank der vorwiegenden Ausfuhr nach den Ländern in welchen Handels- und Zahlungsfreiheit besteht, ist auch der Rückgang des Defizits des Handelsbilanz nicht nur theoretisch sondern auch finanziell zu werten.

Für den Gesamtaussenhandel setllt sich das Defizit auf 15
Milliarden gegen 18 Milliarden für 1937. Berechnet man hingegen



1) Vierteljahrshefte des Institut Scientifique de Recherches Economiques et sociales, Paris, Nr. vom 31.1.39.

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das Defizit des Handels des »Imperium«1) mit dem Ausland, so stellt es sich auf 11 Milliarden gegen 15 im Vorjahr. Dieses Defizit ist durch die Aktivposten der unsichtbaren Zahlungsbilanz mehr als ausgeglichen. Die Rückkehr der Fluchtkapitalien enthebt z. Zt, Frankreich jeglicher Sorge über die Valuta.

Die Expérience Reynaud ist natürlich zu kurz um zu Beginn des Jahres 1939 sie schon auf ihre Ergebnisse zu untersuchen oder sie einer Kritik zu unterwerfen die auch nur aus der praktischen heraus wissenschaftliche Bedeutung erhalten kann. Wir beschränken uns deshalb den Anfangserfolg zu unterstreichen, dann die Bedingungen hervorzuheben die nötig sind damit die Sanierungsaktion als Ganzes gelingt.

Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass seit November eine wesentliche Besserung der finanziellen Lage Frankreichs eingetroffen welche ja auch im Reynaudplan als erste Etappe der Sanierung vorbereitet und gewünscht wurde. Der französische franc der sich im Oktober nur mit Mühe unter der Höchstgrenze von 178 gegenüber dem Pfund Sterling gehalten hatte, befestigte sich nicht nur gegenüber dem selbst geschwächten Pfund, sondern auch im Vergleich zum Dollar. Am 10. März 1939 steht der Dollar auf 37.70 francs gegen ein Maximum von 38.60, wobei wegen der Definition des Goldgehaltes des franc der Kursus von 36 fr. nicht unterschritten werden kann.

Die Besserung der Valuta ist eine Folge des Kapitalrückflusses. Schon am 9. Dezember 1938 konnte Reynaud eine Rückkehr von 6 Milliarden ankünden. Ende 1938 hat sich diese Summe mehr als verdoppelt. Der Fonds d'égalisation des changes hatte Ende Januar 1939 seinen Goldbestand vervierfach (etwa auf 16 Milliarden).Dieses ausgewanderter Kapitalen hat eine dreifache Folge: Hausse der Staatsrente, Herabsetzung der Zinsen, Konversionsmögliglichkeit. Die 3% Staatsrente welche Ende Dezember 1937 auf 69,65 gestanden hatte, stellt sich am 9. März 1939 auf 84,702). Insgesamt konnte der Kapitalwert des Gewinnes der Hausse der französischen Staatspapiere die zwischen



1) Frankreich und Kolonien.

2) Allerdings nach einem Rückschlag von einem höheren Kurs im Dezember.

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dem 20. November und 20. Dezember 1939, 23 % betrug, aus
nahezu 20 Milliarden francs geschätzt werden1).

Die Rentenhausse bedeutet, umgekehrt gesehen, eine Baisse des
Realzinsfusses der schon ausgegebener Papiere; sie konnte auf die
Neuemissionen übertragen werden.

Der Zinsfuss der Schatzscheine mit 75105 Tagen Laufzeit wurde innerhalb eines Monates von 3 auf 1,50 % herabgesetzt. Im Anschluss daran konnte die Banque de Fance mit ihrem Diskontsatz auf 2% herabgehen (Anfangs Januar) und ihn so den Geldmarkbedingungen London und Amsterdam gleichstellen; nur in der Schweiz ist der Satz noch tiefer. Der Satz der Bons mit 18 Monaten Laufzeit fiel von 4V2 % Anfang November bis auf 3 % in Dezember. Auf das Jahr umgerechnet, ergibt sich aus dieser Baisse eine Zinsersparnis von 500 Millionen francs (Rede Reynauds am 10. Dezember 1938).

So stand der Weg zur Konversion offen. Ein Versuchsballon wurde zunächst im Ausland aufgelassen. Am 28. Dezember nahm die Regierung eine ausländische Anleihe von 175 Millionen holl. Gulden auf, wovon 100 in Holland, 75 in der Schweiz ausgegeben wurden. Diese Anleihe 95 %, innerhalb 30 Jahren rückzahlbar, konnte zu 4% untergebracht werden. Ihr Ertrag, der in francs umgerechnet 3500 Millionen ausmacht, wurde dazu verwandt, verschiedene zurückzubezahlen, die von den französischen Eisenbahnen im Ausland aufgenommen worden waren u. zw. eine Serie Dollar-Gulden und Schweizer Franken Anleihen zu 4y2—2 6V2%.

Diese finanzielle Gesundung Frankreichs hat Anfang März nur zu einer schwachen wirtschaftlichen Belebung geführt. Die Tätigkeit grossen Warenhäuser hat zugenommen. Dagegen ist die Arbeitslosigkeit saisonmässig wie in den früheren Jahren gestiegen, unter dem Einfluss eines ausnahmsweisen kalten

Die Grosshandelspreise und insbesondere die Lebenskosten sind im Steigen begriffen. Bei der Diskussion des Budgets im Senat wurde auf diese Schwäche bei der derzeitigen Sanierungsaktion hingewiesen. Die Preishausse kann nun, weniger als Bremse vielmehrals betrachtet werden der zur Wiederherstellung der Gewinnmarge führen kann. Es erfolgte eine Erhöhung des Produktionsindexvon



1) Am 9. Dezember waren es schon 13 400 Millionen. Rede des Finanzministers der Kammer am Freitag 9. Dezember 1938.

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duktionsindexvon80 im Oktober 1938 auf 86 im Januar 1939. Der
amerikanische Wirtschaftsplan 1933 hat die Hausse ebenfalls
gefördert (Devaluation).

Massgebend für die Wirtschaftsbelebung wird die politische und moralische Situation sein. Gelingt es Frankreich seine z. Zt. starke politische Stellung zu behaupten und so nicht nur der Kriegsgefahr sondern auch der Kriegspsychose zu entrinnen, so ist für den Wirtschaftsaufschwung eine gute Vorarbeit geleistet. Dann wird es sich zeigen, dass die Verbindung der weiter dauernden Wirtschaftslenkung mit einer weitgehenden Wirtschaftsfreiheit wohl den Bedürfnissen der französischen Wirtschafts- und Sozialstruktur entspricht. Man hört auch heute einige Nationalökonomen, vor allem in den Teilen der sozialistischen sagen: Schliesst die Grenzen, macht eine geschlossene Wirtschaft und dann schreitet zu einer mächtigen Kreditexpansion.

Abgesehen davon, dass in einem demokratischen Staatswesen eine Gesamtlenkung der Wirtschaft und der Moral (denn die Devisenkontrolle führt zu einer Kontrolle der Korrespondenz und sogar der Absichten) unmöglich ist, scheint es logischer zu sein, den geflüchteten Kapitalien durch weit geöffnete Toren die Gelegenheit geben, zurückzufliessen. Sobald Frankreich wieder seine Kapitalien hat, braucht es keine künstliche Kreditexpansion.

Aber der Hebel zum Wirtschaftsaufschwung kann nur liegen im Selbstvertrauen und im Glauben an die Rückkehr einer europäischen Derselbe wird nun durch die Ereignisse des 15. März (Tschekoslowakei) wieder auf tiefste erschüttert.