Nationaløkonomisk Tidsskrift, Bind 3. række, 43 (1935)

PREISERWARTUNGEN, MONETAERE STOERUNGEN UND EEHLINVESTITIONEN 1)

Von F. A. von HAYEK (London).

I

WENN man versuchen wollte, in einem Satz die Eigenart
unserer Generation von theoretischen Nationalökonomen
zu charakterisieren, so miisst man meiner Ansicht nach das Bemiihen
die Methoden und Erkenntnisse der allgemeinen
der Lehre vom wirtschaftlichen Gleichgewicht,
auf verwickeltere, »dynamische« Vorgänge anzuwenden. Zunächst
möchtc man freilich glauben, dass dies fiir jede Generation gelten
miisste, dass es stets das Bemiihen der Nationalökonomen gewesen
ware, durch schrittweise Verringerung des Abstraktionsgrades
näher an die Wirklichkeit heranzukommen. Trotzdem kann
kaum von den letzten Generationen gesagt werden, dass sie in
diesem Bemuhen sehr weit gekommen wären. Die Entwicklung
der Nationalökonomie ist nicht der Systematik des Lehrbuches
gefolgt, das vom allgemeinen zum speziellen Teil fortschreitet.
Die Probleme der Wirklichkeit waren zu dringend, als dass die
mehr praktisch gesinnten Manner bereit gewesen wären, zu warten,
ihnen der Fortschritt der reinen Theorie eine Schema
bot, dass sie in ihren Arbeiten unmittelbar verwenden konnten.

In der Vergangenheit lassen sich im Wesentlichen dreierlei Einstellungen zur Anwendung der Theorie auf das Verständnis der kompliziertesten Erscheinungen der wirtschaftlichen Dynamik,der und Konjunkturerscheinungen insbesondere, feststellen.Vielfach die Manner, denen sich die Bedeutung der



1) Der folgende Aufsatz stellt im Wesentlichen eine Wiedergabe eines Vortrages den der Verfasser am 7. Dezember 1933 in der Socialökonomisk Samfund in Kopenhagen hielt. Kinzelne Abschnitte wurden gekurzt, soweit sie Fragen behandelten, die der Verfasser schon an anderer Stelle erörtert hat, und in Fussnoten auf jene anderen Veröffentlichungen hingewiesen. Dai'iir wurden andere Abschnitte die Ergänzungen zu jenen friiheren Arbeiten enthalten, erweitert.

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hier bestehenden Probleme aufdrängte und die sich an ihre Lösung machten, wenig Kenntnis von augenblicklichen Stand der ökonomischen Theorie. Unter ihnen befanden sich, neben ungezähltenQuerköpfen, Reihe von klaren Denkern mit reicher Erfahrung, denen wir viel verdanken. Daneben gab es eine zweite kaum minder wichtige Gruppe, die die Sätze der reinen Theorie zwar kannte, aber als von geringem Nutzen fiir die Aufgabe betrachtete,die besonders interessierte. Beide Gruppen haben bedeutendes geleistet, und ich werde noch Gelegenheit haben, einige Beiträge aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu erwähnen,die solehen Männern verdanken. Es scheint mir keinewegsausgemacht, dies weniger ist, als das was wir auf unseremGebiet dritten Gruppe schulden, nämlich jenen Forschern,die wie uns heute scheinen muss, verfriiht — versuchten,eine und mangelhafte allgemeine Theorie auf die komplizierteren Erscheinungen anzuwenden. So berechtigihr war, auf diese Weise den Nutzen und die Lebensberechtigungder Theorie zu erweisen, und so richtig ihr Instinkt, dass nur auf diese Weise sich schiesslich eine wirklich befriedigende Erklärung dieser Erscheinungen wiirde aufbauen lassen, so fiihrten ihre Versuche, von der »theorie des debouches« an, doch eher dazu, dass die Probleme in die Zwangsjacke eines Schemas gepresst wurden, das kaum zur Aufhellung der Probleme beitrug.

II

Erst die Entwicklung der modemen Gleichgewichtstheorie und die reinliche Feststellung der Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeithat die Natur der hier bestehenden Probleme klar gezeigt als auch die Wege zu ihrer Lösung aufgedeckt. Und wenn auch die einzelnen Forscher sicher verschiedene Wege gehen, so lässt sich heute doch sagen, dass in allén Ländern mit einer grossentheoretischen das Streben aller jungen Kräfte auf die Ueberbriickung des Gegensatzes zwischen »Statik« und »Dynamik«gerichtet Manchem mogen die dabei bestehenden Differenzensehr erscheinen. Aber ob der einzelne dabei in seinemEifer, zu kommen, die Unzulänglichkeit der statischenTheorie oder weniger stark betont, scheint mir mehr eine Temperamentsfrage als in den Zielen oder in der Methode begrundet zu sein. Ich glaube, dass die grosse Mehrzahl der jungerenNationalekonomen einig ist in der Zuversicht, dass es möglich sein wird, die Kontinuität der Entwicklung zu wahren,

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und in der Ueberzeugung, dass wir nur auf diesem Weg zum Ziel
kommen werden.

Was wir alle suchen ist somit nicht ein Sprung in etwas ganz neues, sondern eine Entwicklung unseres grundlegenden Apparates der Richtung, dass er zur Erklärung der dynamischen Erscheinungen verwendbarer wird. Vor nicht langer Zeit habe ich noch geglaubt, dies am besten so formulieren zu sollen, dass die Konjunkturtheorie nach der wir suchten, organisch auf die bestehende Gleichgewichtstheorie aufgesetzt werden miisse. Ich bin nun immer mehr geneigt, dies so auszudriicken, dass die allgemeine selbst so ausgebaut werden muss, dass wir in der Lage sind, sie unmittelbar zur Erklärung der individuellen Konjunkturzyklen der Wirklichkeit zu verwenden. Wie in jiingster namentlich von F. Lutz1) in recht iiberzeugender Weise ausgefuhrt wurde, ist die Aufgabe nicht die Entwicklung einer eigenen Konjunkturtheorie, d. h. eines detaillierten Schemas, in das sich alle empirischen Konjunkturschwankungen, einordnen lassen, sondern ein Ausbau jener Kapitel der Theorie, die wir zur Analyse der unter sich vielfach sehr verschiedenen empirischen Konjunkturschwankungen brauchen.

Ein grosser Teil dieser Arbeit wird zweifellos einfach eine Fortentwicklung besonderer Kapitel der allgemeinen Theorie, insbesondere Kapitaltheorie und der Geldtheorie in der Richtung sorgfältigeren Analyse des Prozesses darstellen, der sich an jedeDatenänderung anschliesst. Es ist iedoch eine gemeinsame aller solcher Versuche, die Theorie realistischer zu gestalten, dass sie uns alle sehr bald zu dem Grundproblem aller ökonomischen Theorie zuriickbringen, nämlich zu der Frage der Bedeutung des Gleichgewichtsbegriffes und seine Relevanz fur die Erklärung eines in der Zeit ablaufenden Prozesses. Er känn kein Zweifel bestehen, dass sich dabei manche der iiblichen Formulierungen Gleichgewichtstheorie als wenig niitzlich erweisen und nicht nur die Details ihrer Ausfiihrungen sondern auch der Inhalt der Gleichgewichtsvorstellung als solcher eine gewisse Revision bediirfen wird.

Dass diese Vorstellung von einem Gleichgewichtszusammenhangin keinen ganz unveränderlichen und auch nicht immer einen ganz klaren Inhalt gehabt hat, es ist wohl nicht zu bestreiten. Letzteres gilt mindest fur die Anwendung des Gleichgewichtsbegriffes auf die Vorgänge in einer aus unabhängigenIndividuen



1) F. Lutz: Das Konjunkturproblem in der Nationalökonomie, Jena 1932.

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gigenIndividuenzusammengesetzten Tauschwirtschaft, während er auf die Wirtschaft einer einzelnen Person oder eines zentral geleiteten kommunistischen Systems angewendet, wohl einen definitivenSinn Während hier mit Recht von einem notwendigenGleichgewicht werden kann, in dem die von einer Person in einem Zeitpunkt getroffenen Verfiigungen zueinandersstehenmussen, es weit weniger klar, in welchem Sinn wir die gleiche Vorstellung auf das Zusammenspiel einer grossen Anzahlvon anwenden durfen, deren wechselseitige Reaktionensich in der Zeit abspielen und nur durch besondere,wirklichkeitsfremde als ein zeitloser Gleichgewichtszusammenhang behandelt werden können.

Jedenfalls bedarf die Gleichgewichtsanalyse, wenn wir sie mit Nutzen auf die Analyse der Vorgänge in einer sich verändernden Tauschwirtschaft anwenden sollen, einer genaueren Präzisierung ihrer Voraussetzungen als dies iiblicher Weise geschieht. Die Relevanz der von der herkömlichen Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichts beschriebenen Tendenzen zu einem Gleichgewichtszustand die Erklärung der Vorgänge der Wirklichkeit wird sich erst feststeilen lassen, wenn wir uns ganz klar dariiber sind, welches die Voraussetzungen sind, unter denen es sich zumindest vorstellen lässt, dass so ein Gleichgewichtszustand in der Wirklichkeit kommt.

Die hauptsächliche Schwierigkeit der traditionellen Analyse bestand natiirlich in ihrer völligen Abstraktion vom Zeitelement. Ein Gleichgewichtsbegriff, der im Wesentlichen nur auf eine zeitlos Wirtschaft Anwendung hatte, konnte nicht von grossem sein. Gliicklicherweise hat sich aber gerade in dieser Hinsicht in letzter Zeit viel geändert. Es ist klar geworden, dass an Stelle einer einfachen Vernachlässigung des Zeitmoments ganz bestimmte Annahmen iiber die Einstellung der handelnden Personen der Zukunft treten miissen. Die Voraussetzungen Art, die die Gleichgewichtsanalyse machen muss, sind im Wesentlichen, dass alle beteiligten Personen die relevanten Vorgänge in der Zukunft richtig voraussehen und dass diese Voraussicht nur die Veränderung in den objektiven Daten sondern das Verhalten aller anderen Personen einschliessen muss.

Es ist nicht meine Absicht, mich hier eingehender mit dieser
neueren Entwicklung der Gleichgewichtsanalyse als soleher zu
befassen. Ich hoffe aber, dass diese knappen Andeutungen geniigenwerden,

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genwerden,gewisse Schlussfolgerungen, die sich daraus fur die Analyse dynamischer Vorgänge ziehen lassen, verständlicher zu maclien. Es scheint inir nämlich, als ob sich unter diesem Gesichtspunktenendlich Begriffen, die die meisten von uns in etwas leichtfertiger Weise zu gebrauchen gewohnt sind, ein bestimmter Sinn geben liesse. Ich denke hier an die gerade in der Konjunkturtheorie so haufig gebrauchten Aussagen, dass sich entweder ein ganzes Wirtschaftssystem oder ein bestimmter Preis wie etwa der Zins im Gleichgewicht oder nicht im Gleichgcwicht befänden.

Es ist offenbar, dass die Erwartungen, auf die sich die Entscheidungen verschiedenen Individuell in einem Augcnblick grunden, oder nicht vereinbar sein können, und dass, wenn letzteres der Fall ist, die Erwartungen zumindest eines Teiles der Individuen enttäuscht werden mussen. Es ist weiter wohl auch klar, dass die Erwartungen der Individuen in einem gegebenen Moment in weitem Masse auf die in diesem Moment bestehenden Preise gegriindet sein werden, und dass sich auch hier Konstellationen von gegenwärtigen Preisen denken lassen, die Erwartungen auslösen, notwendig enttäuscht werden mussen, und andere, die noch nicht den Keim einer solchen Enttäuschung in sich trägen und im allgemeinen Erwartungen hervorrufen, die — zumindest wenn keine unvorhergesehenen Aenderungen in der ausseren Umständen eintreten — mit dem tatsächlichen Verlauf der Erreignisse können. Hier scheint sich mir ein hoffnungsvoller fur die weitere Entwicklung der Konjunkturtheorie ergeben.

III

Jede Erklärung der Krisen muss naturlich die Annahme in sich schliessen, dass die Unternehmer Irrtiimer begången haben. Man darf es nur nicht als eine letzte und ausreichende Erklärung der Krisen betrachten, wenn man auf das Bestehen solcher Irrtiimerhinweist. die zu allgemeinen Verlusten fiihren, lassen sich nur verständlich machen, wenn man einen Grund zeigen känn, warum alle Unternehmer Irrtiimer in der gleichen Richtung begehen sollen, und mir persönlich scheint, als ob sich dies kaum allein durch psychologische Ansteckung oder sonst einfach als gemeinsame und vermeidbare Urteilsfehler aller Unternehmer erklären liesse. Die Wahrscheinlichkeit scheint mir eher dafiir zu sprechen, dass sie alle durch die Beobachtung von

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Symptomen, auf die sie normaler Weise mit Recht ihr Urteil stiitzen, irregefiihrt wurden. Oder, konkreter gesprochen, dass die bestehenden Preise, auf die sie ihre Entscheidungen stiitzen miissen, Erwartungen hervorriefen, die notwendig enttäuscht werdenmussten. hatten demgemäss gewissermassen berechtigte, durch das Preissystem selbst hervorgerufene Irrtumer in den Antizipationen von irriger Voraussicht iiber die bevorstehenden Datenänderungen zu unterscheiden. Ohne darauf näher eingehen zu können möchte ich doch wenigstens darauf hinweisen, dass mir eine nahe Beziehung zwischen dieser Unterscheidung imd der herkömmlichen Gegeniiberstellung von »endogenen« und »exogenen« Konjunkturtheorien zu bestehen scheint.

Der fiir unsere Zwecke wichtigste, weil alle Gebiete des Wirtschaftslebenberiihrende in dem der Erfolg der gegenwärtigenEntscheidungen Unternehmer völlig von der Richtigkeit ihrer Erwartungen abhängt, ist der der Investitionen, soweit diese von der Lage des Kapitalmarktes im allgemeinen und nicht von der besonderen Lage der betreffenden Industrie abhängig sind. Der Erfolg jeder, auf längere Frist gemachten Investition ist von der kiinftigen Entwicklung des Kapitalangebotes und des Zinssatzesabhängig. Erweiterung des Produktionsapparates, die in einem gegebenen Augenblick begonnen wird, ist in der Regel nur ein Teil eines neuen Prozesses, dessen Vollendung, weitere Investitioneniiber längeren Zeitraum erfordert, und wird daher sich nur als erfolgreich erweisen, wenn die Entwicklung des Kapitalangebotes diese weiteren Investitionen auch möglich macht. Im allgemeinen lässt sich wohl sagen, dass die Mehrzahl der Investitionen in der Erwartung vorgenommen wird, dass ein dem gegenwärtigen zumindest ähnliches Kapitalangebot durch längere Zeit fortbestehen wird. Das heisst, die Unternehmer betrachtendas Kapitalangebot und den bestehenden Zinssatz als ein Symptom dafiir, dass ein Kapitalangebot von ähnlichemUmfang ein ähnlicher Zinssatz durch längere Zeit fortbestehen werden. Es ist nur diese Annahme, die sie berechtigt, in irgend einem gegeben Augenblick ein zusätzliches Kapitalangebotzum neuer Produktionsumwege zu verwenden, deren Vollendung weitere Investitionen dureheine längere Periodehindurch macht. (Diese weiteren Investitionen, die notwendig sind, wenn die gegenwärtig vorgenommenen sich als erfolgreich erweisen sollen, mogen entweder Investitionen des gleichen Unternehmers, oder — und wahrscheinlicher — Investitionenanderer

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tionenandererUnternehmer in die vom ersten erzeugten Produktesein.) ihre Erwartungen nicht enttäuscht werden ist es dabei zvvar nicht notwendig dass das Angebot von neuem Kapitalvöllig bleibt, aber — wie ich an anderer Stelle zu zeigen versuchte1) — dass es während keines Zeitabschnittes um mehr fäll als um den Betrag, der bisher zum Beginn neuer Produktionsumwegeverwendet

Sehr starke und von den Unternehmern nicht vorhergesehen Schwankungen in der Spartätigkeit warden daher schon ausreichen, Verluste an den in der vorhergegangenen Periode gemachten Kapitalinvestitionen zu verursachen und damit die wesentlichen Erscheinungen einer Krise hervorzurufen. Die Ursache der Krise in diesem Falle wäre, dass die Unternehmer zu Unrecht das voriibergehend gesteigerte Kapitalangebot als eine Dauererscheinung angesehen und in dieser Erwartung gehandelt hatten. Dass wir dies nicht auch als eine hinreichende Erklärung der tatsächlich beobachteten Krisen ansehen können, liegt einfach darin, dass die Erfahrung uns keinen Anlass gibt, anzunehmen, dass solche Schwankungen in der Spartätigkeit änders denn als Folge der Krisen auftreten. Wäre es nicht als Folge der Krisen, die wir demzufolge durch andere Umstände zu erklären haben, so wiirde sich die Annahme der Unternehmer, dass das Angebot von Sparmitteln in annähernd dem gegenwärtigen Umfang durch längere Zeit fortbestehen wiirde, wahrscheinlich als berechtigt erweisen. Die Entscheidungen der Unternehmer iiber die Zeitpunkte, denen sie die Produkte ihrer gegenwärtigen Investitionstätigkeit den Konsum bereitstellen wollten5 wiirde mit den Absichten der Konsumenten hinsichtlich des Teiles ihres Einkommens, sie laufend konsumieren wollten, übereinstimmen.

IV

Nun ist bekanntlich das laufende Angebot von Geldkapital nicht notwendig identisch mit dem Betrag der laufenden Ersparnisse.Alle Arten von monetären Störungen, die sich kurz als Veränderungen der Geldmenge und Veränderungen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes charakterisieren lassen, in Wirklichkeit aber viel mannigfaltiger sind, als diese beiden Ausdriickezunächst



1) Vgl. meinen Aufsatz »Capital and Industrial Fluctuations« Econometrica, Band 2, No. 2, April 1934, in dem ich auch die hier nur knapp skizzierte Unterscheidung zwischen vollständigen und unvollendeten Produktionsprozessen dargestellt habe.

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driickezunächstvermuten lassen, können das Angebot von Geldkapitalunabhängig der Entwicklung der Spartätigkeit verändern.Das aber, dass in alien solehen Fallen die Unternehmerihre nicht an der tatsächlich zum Ausdruck gebrachten Willigkeit der Konsumenten zu sparen orientieren, sondern an einem Trugbild, das nicht einmal den Entscheidungender in der Gegenwart entspricht und daher auch kcinerlei Anhaltspunkt dafiir bietet, wie die Konsumentenin Zukunft ihr Einkommen zwischen Konsum und Sparen aufteilen werden. Die Unternehmer werden ihre Entscheidungiiber Umfang ihrer Investitionen, d. h. iiber die Zeitpunktefiir sie die Produktionsfaktoren investieren sollen, so treffen, als ob die gegenwärtige Verteilung der Geldnachfrage zwischen Konsumgutern und Investitionen der Verteilung der Einkommen der Konsumenten zwischen Konsum und Sparen entspräche.Die davon muss aber sein, dass die Art, in der die Unternehmer ihre Mittel zwischen der Produktion fur die nähere und der Produktion fiir die fernere Zukunft aufteilen, verschieden sein wird von dem Verhältnis, in dem die Gesamtheit der Konsumenten ihr laufendes Einkommen zwischen dem laufendenKonsum der Vorsorge fiir späteren Konsum aufzuteilenbeabsichtigt.

In einer solehen Situation besteht offenbar ein Widerspruch zwischen den Absichten der Konsumenten und den Absichten der Unternehmer, der sich friiher oder später bemerkbar machen und die Erwartungen zumindest einer der beiden Gruppen enttäuschen muss. So ein Zustand ist jedenfalls nicht ein Gleichgewichtszustand dem friiher angedeuteten Sinn. Ein Gleichgewichtszustand erfordern, dass die Absichten der beiden Gruppen miteinander verträglich sind und die bestehenden Preise und insbesondere herrschende Zinssatz nicht Erwartungen beziiglich des Verhaltens anderer Mitglieder der Gesellschaft auslösen, die durch nichts begrundet sind. In der gleichen Weise könnte der Gleichgewichtszinsfuss sinnvoll definiert werden als jener Zinsfuss, die Plane der Unternehmer hinsichtlich der Investitionstätigkeit den Absichten der Konsumenten in Uebereinstimmung Unter der Annahme einer konstanten Sparrate ware das, wie wir gesehen haben, jener Zinsfuss, der sich auf dem Markte bilden wurde, wenn das Angebot auf dem Kapitalmarkte aus den von den Konsumenten ersparten Beträgen bestiinde.

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Wenii wir jedoch statt dessen zunächst den Fall betrachten, in dem dieses Kapitalangebot durch monetäre Veränderungen iiber jenen Betrag hinaus vergrössert wird, so wird offenbar dadurch der Zinssatz unter jenen Gleichgewichtssatz gesenkt und die Unternehmer werden dadurch veranlasst werden, einen grösseren Teil der vorhandenen Produktionsmittel der Produktion fur die entferne Zukunft zu widmen, als der Aufteilung des Einkommens der Konsumenten zwischen Sparen und Konsumieren entspräche.

Zur Zeit, da die Unternehmer diese Entscheidung treffen, habcn die Konsumenten keine Möglichkeit, ihre Absichten mit hinreichenden zum Ausdruck zu bringen, da ihr Geldeinkommen unverändert ist, während die Kreditexpansion den Betrag der fur Investitionszwecke verfiigbaren Fonds gesteigert hat. Die Investition dieser Fonds muss aber mit der Zeit die Folge haben, dass der Gesamtbetrag der Einkommen mit der Zeit um nahezu denselben Betrag gesteigert wird, entweder dadurch, dass die verstärkte Konkurrenz der Unternehmer in den friiheren Produktionstufen Entlohnung der schon vorher beschäftigten Produktionsfaktoren die Höhe treibt, oder dadurch dass es nun möglich wird, bisher unbeschäftigte Produktionsfaktoren zu beschäftigen. muss jedenfalls das relative Gewicht der Nachfrage Konsumgiitern beeinflussen und alles weitere hängt davon ab, wie die Konsumenten dieses zusätzliche Geldeinkommen zwischen Konsum und Sparen verteilen werden.

Der erste Punkt, der dabei im Auge zu behalten ist, ist dass diese Steigerung des Geldeinkommens der Konsumenten keine Steigerung ihres Realeinkommens bedeuten kann, vielmehr zunächwahrscheiniich eine Senkung ihres Realeinkommens eintreten wird. Wie gross auch der den Konsumenten zur Verfägungstehende sie können nie mehr konsumieren als alle auf den Markt kommenden Konsumgiiter — und insofern die Neuinvestitionen mit einer Umdirigierung von bisher schon beschäftigten Produktionsfaktoren in längere Produktionsprozesse verbunden ist, muss dies zu einer voriibergehenden Verminderung des Stromes von Konsumgiitern fiihren. Die durch die Investitionenselbst Steigerung des von den vorhandenen permanentenProduktionsfaktoren Konsumgiiterertrages kann sich erst später fuhlbar machen. Aber selbst wenn die ersten Resultate der Neuinvestitionen auf den Markt zu kommen beginnenbedeutet nur, dass die von einer gegebenen Produktionsfaktorenmengeerzeugte steigt, nicht aber, dass

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der Anteil der gesamten Menge von Produktionsfaktoren steigt, dessen Produkt laufend auf den Markt kommt. Wie wir aber gleich sehen werden, ist es letztere Grösse und nicht die absolute Konsumgiitermenge, die fur unser Problem entscheidend ist.

Es besteht wenig Grund anzunehmen, dass sich unter diesen Umständen der Anteil des gesteigerten Geldeinkommens, den auf den laufenden Konsum verwendet werden wird, vermindern sollte. Die Sparwilligkeit der Konsumenten wird durch diese Vorgänge kaum beriihrt werden, die Sparfähigkeit der Einkommensempfänger ganzen eher verringert. Nur insofern, als im Zuge des Prozesses Einkommensverschiebungen vor sich gehen (Unternehmergewinne!), die Sparfähigkeit eines sparwilligeren Teiles Bevölkerung auf Kosten weniger sparwilliger heben, ist mit einer gewissen Steigerung der Sparquote zu rechnen. Ob nun aber die Konsumenten das zusätzliche Geldeinkommen in dem gleichen Verhältnis zwischen dem laufenden Konsum und Sparen aufteilen oder ob das Verhältnis, in dem das ganze vergösserte Geldeinkommen zwischen diesen beiden Zwecken aufgeteilt wird, dem Sparen etwas giinstiger ist, in jedem Fall wird die Steigerung des Geldeinkommens eine beträchtliche Erhöhung der in Geld ausgedriickten Nachfrage nach Konsumgiitern und damit eine Steigerung der Konsumgiiterpreise (zumindest relativ zu ihren Kosten) verursachen.

Der Umfang der Investitionstätigkeit braucht dadurch nicht beeinflusst werden, so lange die fiir Investitionen zur Verfiigung stenenden Fonds durch weiterc Kreditexpansion in hinreichendem Ausmass gesteigert werden, um trotz wachsender Konkurrenz der Konsumguterindustrien jenen steigenden Anteil der verf ligbaren Produktionsfaktoren an sich ziehen zu können, der zur Fertigstellung begonnenen Produktionsprozesse nötig sind. Dass dazu eine progressiv wachsende Kreditexpansion notwendig ist und dass diese, selbst abgesehen von allén währungstechnischen Hindernissen, unbeschränkt fortgefiihrt werden kann, einfach weil sie mit der Zeit zu einem progressiven, schliesslich jedes Mass iibersteigenden Preisfall fiihren miisste, ist nicht schwer zu sehen1). Fiir uns hier ist in erster Linie von Interesse, was geschieht, schliesslich der unausbleibliche Moment kommt, in dem die Konsumgiiternachfrage nicht nur absolut sondern auch relativ zu den fiir Investitionszwecke verfiigbaren Mitteln zu steigen



1) Vgl. auch daruber meinen friiher zitierten Aufsatz in der »Econometriea« besonders S. 161 f.

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V

Wir sind nun zu dem Augenblick gekommen, in dem sich der durch die Kreditexpansion verursachte Widerspruch zwischen den Absichten der Konsumenten und den Absichten der Investitoren geltend macht. Die Unternehmer, die in Erwartung eines fortdauernd Zinsfusses und eines Angebotes von Geldkapital, das sie in der Lage setzen wiirde, zu den herrschenden Preisen die zur Vollendung der beginnenen Anlagen notwendigen Produktionsfaktoren zu können, ihre Produktionsanlagen auszudehnen finden diese Erwartung enttäuscht. Das Steigen der Preise aller jener Produktionsfaktoren, die auch in späteren Produktionsstufen verwendet werden können, erhöht ihre Kosten und das Steigen der Zinssätzse senkt gleichzeitig die Nachfrage nach den von ihnen erzeugten Kapitalgiitern seitens der Unternehmer späteren Produktionsstufen, die die Abnehmer fiir ihre Produkte darstellen.

Das Phänomen, mit dem wir uns hier beschäftigen, scheint mir der zentrale Punkt der Kriesenerklärung und gleichzeitig der Punkt, der den grössten Widerspruch hervorruft und besonders dem Laien am aller unwahrscheinlichsten scheint. Dass Kapitalmangel fiihren soli, dass die vorhandenen Kapitalgiiter zum Teil nicht verwendet werden können, dass Ueberfluss an Kapitalgiiter ein Symptom von Kapitalmangel ist und die Ursache dieser Erscheinung nicht eine unzureichende sondern eine verhältnismässig grosse Nachfrage nach Konsumgutern ist, ist zweifellos mehr, als ein theoretisch nicht geschulter Geist leichthin anzunehmen bereit ist.

Nichtsdestotrotz scheint mir die Richtigkeit gerade dieser Erwägungenausser zu stehen und bevor ich versuche, sie noch in gewisser Hinsicht zu ergänzen und hoffentlich auch die Formulierung zu verbessern, ist es vielleicht nicht unangebracht, darauf hinzuweisen, dass sich der Grundgedanke dieser Lehre schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts den erfahrenen Beobachtern der Krisen dieser Periode aufdrängte und dann durch längere Zeit grossen Einfluss béhielt, bis er später durch die sozialistische Propaganda fiir die Unterkonsumtionstheorie in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Lehre, an die ich hier denke, ist die von der Umwandlung von zu viel zirkulierenden Kapitel in fixes Kapital, die durch die Schaffung von »fiktiven Kapital« begiinstigt wird und schliesslich zu einer Knappheit des »disposable«oder capital« fiihrt und dadurch die Fertigstellungvieler

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lungvielerbegonnenen Unternehmungen unmöglich macht. Der Mann der vor allem im Anschluss an die grossen Eisenbahnkrisen der Mitte des 19. Jahrhunderts diese Lehre entwickelte und propagierthat, der erste Herausgeber des »Economist« James Wilson. Sie wurde dann von einer Gruppe von erfahrenen Geschäftsleutenin ausgegriffen und weiterentwickelt und schliesslich von Bonamy Price in England und Courcelle- Seneuil und Bonnet in Frankreich auch in akademische Kreise eingefuhrt. Yves-Guyot fasste ihren Grundgedanken schliesslich sogar in dem bezeichnenden Satz zusammen — ich zitiere nach der englischen Uebersetzung seines Buches »La Science Economique«:— and financial crises are produced, not by over-production, but by over-consumption«1).

Ganz so sehr dem gesunden Menschenverstand wiederstrebend wie uns heute scheint, muss diese Lehre also doch nicht sein, wenn sie sich in einem so friihen Stadium konjunkturtheoretischer Forschung zu solchem Ansehen aufschwingen konnte. Dass sie sich gegeniiber der Kritik nicht dauernd halten konnte, liegt wohl an dem unklaren Sinn der dem Bankier jargon übernommenen Kapitalbegriffe, die in ihrer Formulierung eine so grosse Rolle spielen. Dass es mit diesem unvollkommenen Begriffsapparat schwer sein musste, die intuitiv richtig gesehenen Zusammenhänge iiberzeugen darzustellen und gegen Einwände zu verteidigen, ist nicht schwer zu verstehen. Wir sind heute diesem Stadium noch keinewegs völlig entwachsem und die Vieldeutigkeit — oder richtiger Mangel an klarer Bedeutung — der verschiedenen Kapitalbegriffe, wir immer noch verwenden, ist auch heute noch eines der grössten Hindernisse fiir Verständigung auf diesem Gebiete.

Das gilt zunächst fur den Begriff des Kapitalmangels selbst und fiir den damit eng zusammenhängenden Begriff des »freien Kapitales«,auf sich der erste ja bezieht. Dass sich an den Begriff »Mangel an freiem Kapital« eine ziemlich klare Vorstellung kniipft under in vielen Zusammenhängen zweckmässiger Weise verwendet wird, ändert nichts däran, dass der Ausdruck als solcherirrefiihrend und leicht zu nutzlosen Problemstellungen Anlass geben känn. Der Ausdruck scheint nämlich auf eine einzelne,messbare



1) Yves Guyot, Principles of Social Economy, London 1884, S. 249. Fiir eine etwas ausfuhrliche Darstellung dieser Theorien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts den Anhang zum 111. Kapitel in der demnächst erscheinenden 2, Auflage meiner Buches »Prices and Production«, London (Routledge) 1934.

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zelne,messbareGrösse wie einen Geldbetrag oder »Subsistenzmittelfond«hinzuweisen, das »freie Kapital« darstellt und die es in Wirklichkeit einfach nicht gibt. Was wir mit Knappheit oder Ueberfluss an freiem Kapital bezeichnen ist jedoch nichts anderes als eben derUmstand, dass die Verteilung der Nachfrage zwischcn Konsumgiitern und Produktionsmitteln fur erstere entweder giinstigeroder ist als das Angebot an beiden Arten von Gutern.

VI

Wichtiger erscheint mir jedoch eine andere Schwierigkeit, in die uns die Verwendung der traditionellen Kapitalbegriffe zu verwickelndrohte derentwegen mir vor allem jene Umformulierungder die Lehren Wicksell's ankniipfenden Konjunkturtheorienotwendig die ich in diesem Vortrag anzudeuten versuchte. Es lag nahe, den Prozess der kiinstlichen Anspornung der Investitionstätigkeit und der darauf folgenden Zerstörung einesTeiles dabei geschaffenen Kapitalanlagen einem abwechselndemWachstum Schrumpfen der absoluten Grösse des Kapitalbestandes der Gesellschaft gleichzusetzen und, wie ich das gelegentlich selbst getan håbe, zu sagen »dass die Konjunkturschwankungenim nichts anderes als gegenläufige Schwankungen im Aufbau der Produktion darstellen«1). Fiir die meisten praktischen Zwecke mag das auch eine hinreichend genaueBeschreibung wirklichen Vorgänge sein. Theoretisch erschien diese Formulierung besonders anziehend, weil sie es zu ermöglichen schein, die Bedingungen eines Gleichgewichtszustandesin heute so populär gewordener Weise als eine rrage der Uebereinstimmung von Sparen und Investieren zu formulieren.Aber der Versuch, diese beiden Grössen, die einander doch quantitativ entsprechen sollten, exakt zu formulierenzeigte, es sich dabei um nichts weniger als exakte Begriffehandelte. Begriffe hängen nämlich, wie sich leicht zeigen lässt, von der Vorstellung einer nicht weiter definierten »normalen« Konstanterhaltung des Kapitals ab. Als Erparnisse werden nämlich jene Teile des Einkommens bezeichnet, die nicht konsumiert werden, und um zu wissen, was Einkommen ist, mussenwir feststellen, welche Teile der Bruttoeingänge fiir die Kapitalamortisation abgezogen werden mussen. Und ebenso lässt sich naturlich nur feststellen, was als Neuinvestitionen anzusehen sind, wenn wir vorher klargelegt haben, welcher Teil der Investitionstätigkeitals



1) »Preise und Produktion«, Wien 1931, S. 91-92.

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tionstätigkeitalsblosser Ersatz des aufgebrauchten Kapitals angesehenwerden Was als Sparen und was als Neuinvestitionenangesehen muss, hängt also durchaus davon ab, ob wir im Stande sind, dem Begriff der Kapitalerhaltung einen klaren Sinn zu geben, der zu den Vorgängen in der Wirklichkeit in einer bestimmten Beziehung steht.

Dass das der Fall ist, wird zwar herkömmlicher Weise in der Theorie als so selbstverständlich angenommen, dass eine nähere Untersuchung als ganz überfliissig betrachtet und kaum je versucht Nimmt man eine solche Untersuchung jedoch ernstlich Angriff, so merkt man bald, wie ich demnächst an anderer Stelle ausfiihrlicher zu zeigen hoffe, dass dieser Begriff der Kapitalerhaltung nicht nur keinewegs einen bestimmten Sinn hatt, sondern dass auch kein Grund besteht anzunehmen, dass unter dynamischen Verhältnissen die Unternehmer sich so verhalten oder auch nur verhalten können, dass die gesamte Kapitalmenge in irgend einem quantitativen Sinn, in irgend einer messbaren Dimension, konstant bliebe. Wie sie sich tatsächlich verhalten werden und ob sie am Werte ihres Kapitalbesitzes unerwartete oder Verluste erleiden werden, hängt natiirlich dem Grade ihrer Voraussicht ab. Aber selbst wenn wir vollkommene Kenntnis der Zukunft bei ihnen voraussetzen diirften, kein Anlass anzunehmen, dass sie so handeln wiirden, der Wert oder irgend eine andere Dimension ihres Kapitalbesitzes Gegensatz zu dem daraus erzielten Einkommen) sich in eindeutig bestimbarer Weise verhalten miisste.

Diese Erwägungen, die ich hier nur andeuten kann, die aber hoffentlich auch in dieser knappen Form die Schwierigkeiten verständlichmachen, sich bei einer genaueren Untersuchung ergeben,wiirden schweren Stoss gegen die ganze hier besprocheneTheorie wenn diese wirklich in dem Masse mit den Begriffen des Sparens und Investierens und den damit eng verbundenen Begriffen der Konstanterhaltung bzw. absoluten Vermehrung oder Verminderung der gesamten Kapitalmenge zusammenhinge,wie in den heute verbreiteten Formulierungen der Fall zu sein scheint. Gliicklicherweise besteht jedoch kein notwendiger Zusammenhang dieser Art. Bei der Form der Darstellungdieser die ich im ersten Teil dieses Vortrages zu skizzieren versuchte, scheint mir jeder solche Zusammenhang mit der Vorstellung von absoluten Veränderungen in der Grösse des Kapitalbestandes und damit auch mit dem Begriffspaar Sparen

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und Investieren beseitigt. Den Ausgangspunkt fiir eine entwickelte Theorie dieser Art wiirde auf der einen Seite die Absichten aller Konsumenten zu bilden haben hinsichtlich der Art in der sie in jedem Augenblick des in Frage kommenden Zeitabschnittes ihre gesamten Mittel (nicht bloss ihr »Einkommen«) zwischen laufendenund Konsum aufzuteilen wiinschen, und auf der anderenSeite Entscheidungen der Unternehmer iiber den Umfang, in dem sie fiir jeden dieser Zeitpunkte Konsumgiiter bereitstellen. Die Uebereinstimmung dieser beiden Gruppen von Entscheidungen wiirde dann den Gleichgewichtszustand eharakterisieren, den wir heute als eine Uebereinstimmung von Sparen und Investieren zu beschreiben gewohnt sind, und dem die Vorstellung von einem Gleichgewichtszins entspricht. Ein Zins, der unter diesem Gleichgewichtssatzliegt, dann zur Folge haben, dass die Unternehmereinen Teil der vorhandenen Produktionsmittel zur Erzeugung von Konsumgiitern fiir die nähere Zukunft widmen werden als den An teil der aus jenen Produktionsmitteln erzielten Einkommen, den die Empfänger auf den Kauf von Konsumgiitern ausgeben werden. Das kann der Fall sein, weil die Unternehmer die Produktionsumwege um mehr verlängern, als durch das »Sparen« der Konsumenten im iiblichen Sinn gerechtfertigt ist, oder weil sie die Länge der bisher bestandenen Produktionsprozesseum verkiirzen, als durch die Ungeduld der Konsumenten,oder der gewohnteren Ausdrucksweise, den Wunsch der Konsumenten Kapital auszuzehren, notwendig gemacht ist. Es scheint mir dårum auch nicht mehr, wie ich friiher geglaubt håbe, eine Kapitalaufzehrung in einem absolutem Sinn zu sein, die das wesentliche und notwendige Kennzeichen einer Krise darstellt, sondern nur der Umstand, dass die Konsumenten im ganzen auf einer schnelleren Bereitstellung von Konsumgiitern bestehen als nach den von den Unternehmern getroffenen und zum grossen Teil unwiderruflichen Entscheidungen möglich ist. Praktisch ist diese Korrektur wahrscheinlich nicht von grosser Bedeutung, da auch letzteres immer ein Vermehrung von Kapitalwerten zur Folge haben wird, aber eine einwandfreie Formulierung des ganzen Gedankenganges wird wohl nur möglich sein, wenn wir auch diese Bezugnahme auf eine absolute Grösse des Kapitalbestandesfallen

VII

Es ist kaum möglich, in einem kurzen Vortrag mehr als eine
Skizze von diesen Entwicklungen zu geben, die, wie mir scheint,

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die Konjunkturtheorie gegenwärtig durchzumachen hat. Ich brauche wohl auch nicht zu betonen, dass ich diese Entwicklung noch keineswegs als abgeschlossen betrachte und dass die hier versuchten Formulierungen vorläufiger Art sind. Die Ausarbeitungin Einzelheiten wird wohl geraume Zeit in Anspruch nehmen. Aber auch wenn wir einmal so weit sind und es möglich sein wird, diese Gedankengänge in einwandfreierer und tiberzeugendererWeise als das heute der Fall ist, so wird das in keiner Weise einen Abschluss sondern eigentlich erst recht einen Beginn der Arbeit bedeuten. Zunächst wird ja schon die Frage, wie denn die Unternehmer auf die Erwartung von bestimmtenPreisänderungen werden, den Nationalekonomen manche harte Nuss zu knäcken geben. Aber auch das ist nur ein Anfang; viel wichtiger und viel schwerer zu beantworten ist die Frage, was denn die Erwartungen der Unternehmer bestimmt und insbesondere wie gegebene Preisänderungen in der Gegenwart ihre Erwartungen beeinflussen werden. All das ist in weitem Masse noch ein unbeacktertes Feld in dem bisher nur von einigen skandinavischen Nationalekonomen wichtige Pionierarbeit geleistet wurde. Wenn ich auch Professor Myrdal nicht zustimmen kann, wenn er meint, dass meine Theorie fur Beriicksichtigung der Antizipationen keinen Platz lasse1), und es gerade der Zweck dieser Ausfiihrungen war zu zeigen, eine wie wesentliche Rolle sie in dieser Theorie spielen, so kann ich ihm dafiir doch umso riickhaltloser zustimmen, wenn er die Bedeutung der hier liegendenProbleme die weitere Entwicklung der Konjunkturtheorie betont. Das gilt insbesondere fiir die zum grossen Teil immer noch zu lösende Aufgabe einem engeren Zusammenhang zwischen der Erklärung der rein monetären Phänomene, z. Bsp. der Entstehungeiner Inflation oder Deflation, und der ErklärungderVorgänge der Giiterseite herzustellen. Dass in diesem Zusammenhange auch das von Professor Myrdal so sehr betonte Risikomoment eine grosse Rolle zu spielen berufen sein wird, scheint mir ausser Zweifel zu stehen2).



1) Vgl. G. Myrdal, Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheoretischen in Beiträge zur Geldtheorie, herausgegeben von F. A. Hayek, Wien 1933, S. 385.

2) Wertvolle Ansätze in dieser Richtung finden sich in einer vor Kurzem erschienen Arbeit meines Londoner Kollegen Dr. J. R. Hicks: Gleichgewicht und Konjunktur, Zeitschrift fiir Nationalökonomie, Band IV, Heft 4, 1933.