Historisk Tidsskrift, Bind 14. række, 6 (1985) 2Luise Klinsmann: Die Industrialisierung Lübecks. Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, herausgegeben vom Archiv der Hansestadt, Reihe B, Bd 10. Lübeck, 1984. 201 S., 80 Fig.Klaus Greve
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Bei diesem Buch handelt es sich um eine Dissertation aus dem Jahr 1922, die bisher nur als Schreibmaschinenmanuskript vorlag. Zwei Hauptbeweggriinde bewogen die Herausgeber - das Archiv der Stadt Liibeck - zur Drucklegung der Arbeit fast ein Menschenleben nach ihrer Abfassung: Die Dissertation stellt bis heute die einzige umfassende Darstellung zur Gewerbeentwicklung und Industrialisierung Liibecks vom 17. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts dar. Außerdem basiert sie auf umfangreichen Quellenbestånden, die heute nicht mehr oder doch nur schwer zugånglich sind. Grofie Teile des betreffenden Liibecker Schriftguts wurden nåmlich im Zweiten Weltkrieg vernichtet oder sind verschollen oder liegen infolge der Auslagerung im Krieg (und der ungelosten Probleme des deutsch - deutschen Archivalienaustausches) jetzt in Archiven in der DDR. Zudem verwendte die Verfasserin auch statistisches Material von nichtamtlichen und nichtarchivierenden Stellen. Die Arbeit besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste Teil, »Zur Industriepolitik und Industrie-Entwicklung«, beschreibt die Entwicklung des Manufaktur- und Fabrikwesens von 1670 bis ca. 1920 unter dem Einfluß der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die Verfasserin geht dabei von der These aus, die Industrieentwicklung sei »in allen Kulturabschnitten das Ergebnis einer planmåfiigen staatlichen Wirtschaftspolitik« (S. 153, ausfiihrlich auch S. 107). Auch wenn es hier — nach den Maßståben des Jahres 1985 — nicht gelingt, die These iiberzeugend zu belegen, so enthålt der Abschnitt eine durchaus gehaltvolle, streckenweise etwas zu detaillierte Darstellung der Gewerbe- und Industrieentwicklung und der Probleme und Konflikte der Gewerbepolitik in diesem Hafenstandort mit starker hanseatischer Seehandels- und Zunfttradition. Besonders hervorzuheben ist die große Dichte an wertvollen Einzelinformation, vor allem zur Gewerbestatistik (allein 23 zum Teil sehr umfangreiche statistische Tabellen!). Der zweite Hauptteil, »Zur Standortfrage der Liibecker Industrie«, stellt eine Fallstudie zu der klassischen Industriestandorttheorie von A. Weber dar. Hier liefert die Arbeit einen heute immer noch lesenswerten Beitrag zur Untersuchung der råumlichen oder standortbezogenen Aspekte der Industrialisierung. Zu betonen ist, dafl sich die Verfasserin nicht nur an einer fur ihre Zeit modemen nationalokonomischen oder wirtschaftsgeographischen Theorie orientiert, sondern auch Probleme behandelt, die erst spåter Eingang in die systematische Industriestandortlehre gefunden haben (Stichworte: Fiihlungsvorteile, interindustrielle Verflechtungen). Die historische Entwicklung der Standortqualitåten Liibecks wird allerdings nur begrenzt deutlich, da sich die Untersuchungen auf das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts konzentrieren. In ihrer Funktion als Quellen-, Informations-, und Datenbasis fur weitere Untersuchungen liegt der eigentliche Wert der Drucklegung dieser Dissertation. Die Herausgeber haben sich die dankenswerte Miihe gemacht, soweit moglich Zahlen und Angaben nachzupriifen und die Tabellen auf Rechenfehler durchzusehen. Allerdings hatte an einigen Stellen etwas mehr Sorgfalt walten konnen. So wird beispielsweise nicht deutlich, ob die Ungereimtheiten im Text auf S. 9 und in den Tabellen 15 und 16 auf die urspriingliche Verfasserin oder die nachtrågliche Bearbeitung zuruckzufuhren sind.
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Dicsc Arbcit bildet cinc gunstige Ausgangsbasis nicht nur fur die weitere Erforschung der Liibecker Wirtschaftsgeschichte. Auch in iibergreifender Perspektive bildet sie eine interessante Fallstudie zur Industrialisierung eines Seehafenstandorts - auch wenn ihre Methoden und Erkenntnisse nicht mehr ganz dem Stand der Forschung entsprechen. |